Heimtücke in Erpressungsfällen?
Der BGH beschäftigt sich in einer aktuellen Entscheidung aus dem November 2021 (Beschluss v. 18. November 2021, 1 StR 397/21) mit der Frage, was das Mordmerkmal der Heimtücke umfasst und wie es in der speziellen Situation einer andauernden Erpressung zu handhaben ist. Bemerkenswert ist dabei insbesondere die Tendenz zu einer normativen Einschränkung.
Fabian Wohlgemuth
Rechtsanwalt
Inhalte
- Definition der Heimtücke
- Der Sachverhalt
- Das Tatgericht nimmt Heimtücke an
- Keine Notwehr
- Heimtücke – nicht notwendigerweise ein heimliches Vorgehen
- Ist ein Erpresser arglos?
- Privilegierung des Erpressungsopfers
- Fazit
Definition der Heimtücke
Einleitend ist es hilfreich, sich die Definition des Mordmerkmals der Heimtücke des § 211 Abs. 2 StGB zu vergegenwärtigen:
Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist dabei, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren.
Umso erstaunlicher, jedoch im Ergebnis und der Herleitung zustimmungswert, ist die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Mordes, obwohl das Opfer mit drei Schüssen in den Kopf getötet wurde.
Der Sachverhalt
Den Angeklagten und das Opfer verband eine sog. Feier-Freundschaft. Sie gingen gemeinsam regelmäßig auf Partys und zum Essen aus. Hierbei konsumierten sie auch Kokain. Das Kokain wurde stets von dem späteren Opfer erworben und dem Angeklagten zur Verfügung gestellt. Zwischen beiden kam es zu einer Art Kommissionsgeschäft: der Angeklagte musste jeweils erst zum Monatsende das konsumierte Kokain bezahlen.
Zum Ende des Jahres 2019 wurde diese Vereinbarung seitens des Opfers aufgekündigt und die sofortige Zahlung verlangt. Da der Angeklagte die geforderten 700 € nicht sofort ausgleichen konnte, verlangte das spätere Opfer „Strafzinsen“. Anfangs wurden 300 € gefordert. Allerdings steigerten sich die Zahlungsforderungen des späteren Opfers bis auf ca. 8.000 bis 9.000 € im März 2020. Es wurden neben den vermeintlichen Strafzinsen für das Kokain noch diverse weitere Gründe angeführt, warum das spätere Opfer angeblich einen Anspruch auf das Geld hätte. Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, schlug er den Angeklagten und bedrohte ihn in massiver Weise.
Dieses Geschehen gipfelt darin, dass der Angeklagte sich damit zu helfen versuchte, dass er behauptete seine Mutter hätte einen Kredit aufgenommen, um ihm wiederum dieses Geld zur Begleichung der Schulden zu leihen.
Am Tattag fuhren beide gemeinsam zur Mutter des Angeklagten, um dort angeblich Geld abzuholen. Noch im Hausflur versetzte der später Getötete dem Angeklagten Schläge in den Bauch, kam dann aber unerwartet nicht mit in die Wohnung. Er rief dann aus dem Auto, vor der Wohnung wartend, an, drohte, dass er die Wohnung verwüsten werde, wenn das Geld nicht verfügbar sei. Der Angeklagte konsumierte sein dritte Line Kokain, bewaffnete sich mit einer Pistole und stieg in das Auto des Opfers. Er setzte sich auf die Rückbank der Beifahrerseite, also diagonal hinter das spätere Opfer, um zu verhindern, dass ihm die Waffe entwendet werden könnte oder er geschlagen wird.
Das spätere Opfer verhöhnte den Angeklagten und dessen Auftreten und forderte ihn provozierend auf zu schießen, da er nicht von ihm ablassen werde mit seinen Erpressungshandlungen. Ohne sich von der Waffe einschüchtern zu lassen, machte er auch Handbewegungen in die Richtung des Angeklagten. Dieser schoss sodann dreimal in den Kopf des Opfers.
Das Tatgericht nimmt Heimtücke an
Das Tatgericht sah hier das Mordmerkmal der Heimtücke als verwirklicht an. Das Opfer war arglos, also rechnete nicht damit, dass ein Angriff auf sein Leben bevorstand. Hieraus ergab sich die fehlende Möglichkeit einer effektiven Abwehr des Angriffs. Der Angeklagte habe diese Situation ausgenutzt, um das Opfer zu erschießen.
Keine Notwehr
Der Senat thematisiert die möglichen Rechtfertigungsgründe der Notwehr (§ 32 StGB) und den entschuldigenden Notstand (§ 35 StGB). Beide werden, wie auch bereits vom Tatgericht, abgelehnt,. Dem Angeklagten wäre es zumutbar gewesen der Erpressungssituation durch Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden zu begegnen.
Heimtücke – nicht notwendigerweise ein heimliches Vorgehen
Die Frage, die nun zu entscheiden war, ist, ob das spätere Opfer arglos war. Hierfür muss man sich nochmals die Definition der Heimtücke genau vor Augen führen (siehe oben). Wichtig und in die Überlegungen mit einzubeziehen ist, dass ein heimtückisches Vorgehen nicht geheim sein muss. Es gibt Fallkonstellationen, in denen ein Täter dem Opfer erkennbar feindselig gegenübertritt und dennoch heimtückisch handelt. Entscheidend für die Annahme der Heimtücke ist dann der zeitliche Abstand zwischen dem Angriff und die Erkennbarkeit desselben durch das Opfer. Kann sich das Opfer innerhalb dieser Zeit nicht auf den Selbstschutz vorbereiten, so kann das Mordmerkmal erfüllt sein.
Ist ein Erpresser arglos?
In der hier vorliegenden Fallkonstellation einer andauernden Erpressung, ist zu klären, ob das spätere Tatopfer – der Erpresser – überhaupt arglos sein kann, das heißt sich keines drohenden Angriffs versieht.
Generell und vereinfacht dargestellt – so auch die ständige Rechtsprechung – ist der Erpresser, der im Begriff ist seine Tat zu beenden, nicht arglos. Er muss mit einem Angriff auf sein Leben seitens des Erpressten rechnen. Der Erpresser wird hier als Angreifer gesehen. Gegen diesen Angriff darf sich der Erpresste mittels Notwehr schützen. Aus dem Wesen der Erpressungstat ergibt sich, dass der Erpresser jederzeit mit einer Notwehrhandlung rechnen muss, wodurch ihm seine Arglosigkeit abzusprechen ist. Der Erpresser hat selbst eine Notwehrlage geschaffen und hat sich die Konsequenzen dieser zurechnen zu lassen. Ausschlaggebend für die Annahme der Arglosigkeit ist, die „(…) tatsächliche Einsicht in das Bestehen einer Gefahr.“
Kommt es also zu einem tödlichen Angriff auf den Erpresser durch sein Erpressungsopfer, so ist dieser Angriff qualitativ weniger als tückisch, also als plötzlich und nicht erkennbare Entwicklung, zu werten.
Privilegierung des Erpressungsopfers
Das sich wehrende Erpressungsopfer – im vorliegenden Fall der Angeklagte – wird somit privilegiert. Überschreitet das Erpressungsopfer bei seinem Gegenangriff die Grenzen des Notwehrrechts, soll es nicht die Gefahr tragen, das Mordmerkmal der Heimtücke zu verwirklichen. So führt der Senat aus (Rn. 16):
Da nämlich der Erpresser (späteres Tatopfer) in derartigen Konstellationen der wirkliche Angreifer ist, gegen dessen Angriff dem Erpressungsopfer aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 32 StGB und der dieser zugrunde liegenden straf-rechtlichen Werteordnung das Notwehrrecht zusteht, mit dessen Ausübung der Erpresser in einer solchen Lage grundsätzlich rechnen muss (vgl. BGHSt, aaO, vgl. auch BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13), erscheint es bei wertender Betrachtung nicht systemgerecht, dem sich wehrenden Opfer, wenn es in der gegebenen Lage in den Randbereich der erforderlichen und gebotenen Verteidigung gerät oder gar exzessiv handelt, das Risiko aufzubürden, bei Überschreitung der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung oder auch der Entschuldigung sogleich das Mordmerkmal der Heimtücke zu verwirklichen (BGHSt, aaO).“
Im Ergebnis erfüllte die Tat des Angeklagten nicht das Mordmerkmal der Heimtücke. Er wollte das spätere Opfer mit einer Drohung seinerseits abhalten die Erpressung fortzusetzen. Dabei plante er keinen Hinterhalt oder eine Situation, die er plötzlich, nicht erkennbar, also tückisch, ausnutzen wollte. So nahm der Angeklagte die Waffe gerade nicht mit, um zu schießen. Erst die weiter andauernden Drohungen durch das spätere Opfer und dessen atypisches Verhalten, veranlassten den Angeklagten zu den Schüssen.
Fazit
Die Entscheidung des BGH, keine Heimtücke anzunehmen, wirkt bei oberflächlicher, erster Betrachtung wenig überzeugend. Vertieft man jedoch seinen Blick und seziert die einzelnen Bestandteile des Mordmerkmals, so ist das Ergebnis folgerichtig. Der BGH erinnert uns daran den Wortsinn der Tücke genau zu betrachten und einer situativen Prüfung zu unterziehen.
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