ANOM Daten als digitale Beweismittel

Am 06. Juni 2021 wurde eine weitere gezielte weltweite Ermittlungsoperation gegen Nutzer von verschlüsselten Chat-Diensten offengelegt. Die Rede ist von der größten Ermittlungsaktion gegen Nutzer kryptierter Kommunikation aller Zeiten. Seit 2019 hatte das FBI über ein eigenes in Panama gegründetes Unternehmen einen entsprechenden Dienst für mehr als 12.000 Nutzer aufgebaut und gezielt überwacht. In einer umfangreichen Polizeioperation erfolgte mit Offenlegung die Festnahme von 800 Personen, die Sicherstellung großer Mengen Betäubungsmittel und die Abschöpfung erheblicher Vermögenswerte. Seitdem erfolgen auch in Deutschland immer weitere Maßnahmen, Festnahmen und Einleitung von Ermittlungsverfahren.

Die Operation stellt für die Ermittlungsbehörden nach den staatlichen Hacks gegen EncroChat und SKY ECC einen weiteren Meilenstein in der heimlichen digitalen Beweismittelgewinnung und technischen Beweisführung dar. Wie bereits in den bisherigen Konstellationen sehen wir uns als Verteidiger einer abgeschlossenen und verdeckten Verfahrenslage gegenüber, die in den meisten Fällen eine erdrückende Beweislage suggeriert. Hier gilt es, als Anwalt ein taktisches Verteidigungskonzept zu erstellen, das sich auf die Bereiche rechtliche Verwertbarkeit der Daten, Zuverlässigkeit der vermeintlichen Identifizierung und Datenvalidität erstreckt. Wir sind davon überzeugt, dass die vorliegenden Daten keine tragfähige Grundlage für Verurteilungen bieten können und zahlreiche verfahrensrechtliche Verstöße zu einer Unverwertbarkeit führen müssen.

Viele Verfahren auch in Deutschland

Derzeit werden vor mehreren Landgerichten Strafverfahren gegen Nutzer von Mobilfunkgeräten des Anbieters ANOM geführt. Die diesen Verfahren zugrunde liegenden Anklagen beruhen im Wesentlichen aus der Erhebung und Auswertung von Telekommunikationsdaten, die mit Mobilfunkgeräten des Anbieters ANOM generiert wurden.

Hintergründe ungeklärt

Zwischenzeitlich hat sich herausgestellt, dass die ANOM-Software durch das FBI bzw. auf dessen Initiative entwickelt und auf speziell präparierte Mobilfunktelefone aufgespielt wurde (Operation Trojan Shield).

Der angeblichen „Verschlüsselungssoftware“ war ein sogenannter Masterkey angehängt, der es ermöglichte, die gesamte Kommunikation zu entschlüsseln. Die so präparierten Mobilfunkgeräte wurden anschließend über verschiedene Vertriebswege durch das FBI oder durch vom FBI beauftragte Privatpersonen weltweit vermarktet.

Bei der Übermittlung und Auswertung der Daten arbeitete das FBI nach Presseveröffentlichung zunächst mit australischen Ermittlungsbehörden zusammen. Nachdem die australischen Gerichte eine Rückleitung der auf einem dort befindlichen Server gespeicherten Daten an das FBI untersagt hatte, wandte sich das FBI Mitte 2019 an einen bisher nicht bekannten EU-Mitgliedstaat. Dort wurde ein Server installiert, an den die Daten durch das FBI weitergeleitet wurden. Anschließend sollen die Daten, vermutlich nach entsprechender Entschlüsselung, wieder dem FBI zur Verfügung gestellt worden seien.

Um welchen EU-Mitgliedstaat es sich dabei gehandelt haben soll und welche Gerichtsbeschlüsse diesen Maßnahmen zu Grunde gelegen haben ist nicht bekannt. Das FBI bzw. das DoJ verweigert dazu jede Auskunft. Bezeichnend ist allerdings, dass das FBI vor einer Weiterleitung der Daten diejenigen Telekommunikationsdaten herausgefiltert haben soll, die sich auf eigene –US-Bürger- bezog. Eine entsprechende Weitergabe widersprach offenbar den eigenen Rechtsnormen.

Bereits im Frühjahr 2020 sollen dem BKA erste Informationen aus der ANOM Überwachung zur Verfügung gestellt worden seien. Ab Herbst 2020 erhielt das BKA direkten Zugriff auf die entsprechende Plattform. Gleichzeitig wurden die Daten durch das FBI einer bei Europol gebildeten Task Force zur Verfügung gestellt.

Erst Ende März 2021 leitete die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt sodann ein Ermittlungsverfahren gegen damals noch unbekannte Nutzer von Mobilfunktelefonen des Herstellers ANOM ein. Die aus diesem Verfahren gewonnen Erkenntnisse wurden und werden den örtlich für Strafverfahren zuständigen Staatsanwaltschaften zur Verfügung gestellt.

Unterschiede zu EncroChat

Anders als in den sogenannten EncroChat – Fällen erfolgte die Datenübermittlung an deutsche Strafverfolgungsbehörden nicht im Wege der europäischen Rechtshilfe. Auch das Rechtshilfeabkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten über die Rechtshilfe in Strafsachen ermöglichen keine Überwachung des Telekommunikationsverkehrs durch das FBI in einem Mitgliedsstaat der EU. Eine im Inland wirksame richterliche Anordnung für die Überwachung der Telekommunikation lag nicht vor.

Es handelte sich überdies um eine Maßnahme, die der Aufklärung erst zukünftig zu erwartender Straftaten dienen sollte. Solche Maßnahmen sind durch die Strafprozessordnung nicht gedeckt. Ermittlungsbehörden ist es zudem in Deutschland verwehrt, Mittel zur Begehung von Straftaten Dritten zur Verfügung zu stellen.

Zweifel an Verwertbarkeit

Für die anstehenden Strafverfahren wird daher die Frage im Mittelpunkt stehen, ob die durch das FBI gesammelten Daten in einem deutschen Strafverfahren verwertet werden können. Soweit der Bundesgerichtshof eine Verwertbarkeit der aus der Überwachung von EncroChat gewonnenen Ermittlungsergebnisse bejaht hat (Beschl. vom 02.03.2002, Az. 5 StR 457/21), sind die dort entwickelten Grundsätze auf ANOM-Daten nicht übertragbar.

Da bisher nicht bekannt ist, auf welchem Weg die Daten erfasst, verarbeitet und weitergeleitet wurden, ist es Aufgabe der Verteidigung die Beweiskraft der Datensätze umfassend zu prüfen.

Wir sind Strafverteidiger.


kpw ist eine bundesweit tätige Rechtsanwaltskanzlei in Berlin. Jeder Anwalt hat sich von Beginn auf das Gebiet des Strafrechts konzentriert. Als Mandant profitieren sie von unserer jahrzehntelangen Erfahrung aus zahllosen Strafverfahren und unserer gebündelten Kompetenz als Strafverteidiger. Dies betrifft in jüngerer Zeit auch Fälle, die auf Daten aus dem Sky global Hack herrühren sollen. Unsere Expertise im IT-Strafrecht ist hierzu auf Fortbildungen und Tagungen gefragt. Diesbezüglich sind wir derzeit intensiv mit der Verteidigung in EncroChat-Fällen befasst. Im Rahmen einer ersten Beratung klären wir mit Ihnen die Verfahrenssituation, zeigen Handlungsoptionen auf und informieren über die Kosten einer möglichen Beauftragung unserer Rechtsanwaltskanzlei.

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